Berlin-Adlershof - Zentrum der deutschen Luftfahrtforschung

Bereits am 1. November 1907 wurde die Modellversuchsanstalt der Motorluftschiff-Studiengesellschaft in Göttingen gegründet. Ludwig Prandtl wird zum Initiator und zum führenden Kopf der systematischen wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Luftfahrt und legt mit einem Gutachten über die Schaffung einer "Reichsversuchsanstalt für Luftschifffahrt" die Grundlage für die Gründung der "Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt" (DVL), die am 20. April 1912 in Adlershof erfolgte. Die Vereinssatzung brachte die Zweckbestimmung zum Ausdruck: "…das deutsche Flugwesen und die deutsche Luftschifffahrt durch Errichtung, Ausbau und Unterhaltung einer Versuchsanstalt zu gemeinem Nutzen zu fördern.". Dies geschah auf der östlichen Seite des am 26. September 1909 eingeweihten Flugfeldes Johannisthal bei Berlin, in Adlershof. Die Auswahl dieses Standortes geschah vor allem deshalb, weil sich am Flugfeld und in dessen unmittelbarer Nähe sehr rasch das wichtigste deutsche Zentrum des deutschen Flugzeugbaus und der Zulieferindustrie etabliert hatte. Die Kapazitäten der DVL wurden zügig ausgebaut, anfangs orientiert auf die Erprobung von Flugmotoren, dann zunehmend auch auf aerodynamische Untersuchungen von Flugzeugen ausgeweitet. Werkstätten, Labors und Versuchsanlagen wie Motorenprüfstände und Windkanäle entstanden, wie damals üblich, in überwiegendem Maße in Holzbauweise. Der politischen Entwicklung folgend dominierte das graue Tuch der Militärs mehr und mehr den Flugbetrieb am Platz und die Forschungs- und Prüftätigkeit der Anstalt. Ab 1914 übernahmen die Militärs das gesamte Areal, die DVL diente unter der Bezeichnung "Prüfanstalt und Werft der Fliegertruppe" ausschließlich militärischen Erfordernissen. Mit dem Kriegsende und entsprechend der restriktiven Bestimmungen des Versailler Vertrages war die deutsche Luftfahrt in allen ihren Teilbereichen zum Niedergang verurteilt, das galt natürlich auch für die Tätigkeit der DVL und den Standort insgesamt. Zudem unterlag trotz der Tatsache, dass noch 1919 in Johannisthal durch die Deutsche Luftreederei DLR mit ehemaligen Militärflugzeugen der weltweit erste Linienflugverkehr von Berlin nach Weimar aufgenommen wurde, der Platz im Wettbewerb um den Berliner Flughafen dem wesentlich stadtnäheren Tempelhof. Trotz aller Widrigkeiten kämpfte die DVL um einen erneuten Ausbau ihrer Kapazitäten. 1925 bestand sogar die Gefahr der Schließung der DVL an diesem Standort wie auch des gesamten Fluggeländes. Mit der Lockerung der Versailler Bestimmungen war Deutschland aber gezwungen, mit dem Ausbau von Forschungs- und Produktionskapazitäten den Rückstand schnellstmöglich wett zu machen. Die DVL konnte hier in der nach wie vor praxisnahen Forschung und Erprobung und im Rückgriff auf die wissenschaftlichen Kapazitäten der Hauptstadt trotz Unwägbarkeiten durch fortwährende Diskussionen um eine Standortverlagerung die alte Position zurückgewinnen und weiter ausbauen. Vor allem ab 1932 entstand eine vollkommen neue Infrastruktur, neue Institute und Erprobungsanlagen deckten ein weites Spektrum der Grundlagen- und der angewandten Forschung ab, neue Kapazitäten gestatteten einen ununterbrochenen Versuchsbetrieb der Komponenten und des Gesamtsystems Flugzeug. Die nationalsozialistischen Machthaber hatte die Bedeutung der Luftfahrtforschung vor allem für die Luftrüstung erkannt und nahmen massiv Einfluss auf die weitere Entwicklung der DVL. Wie bereits im 1. Weltkrieg gerieten deren Kapazitäten zunehmend und nahezu ausschließlich in die militärische Verfügungsgewalt und dienten den Erfordernissen der deutschen Luftwaffe. Die DVL leistete unbestritten einen wesentlichen Anteil dafür, dass nach Kriegsende die Alliierten nach Auswertung ihrer Kriegsbeute die Einschätzung treffen konnten, dass Deutschland in der Luftrüstung und in der Raketenentwicklung einen technologischen Vorsprung erzielt hatte, der mehrere Jahre betrug. Das Kriegsende bedeutete auch das vorläufige Ende der Luftfahrtforschung an diesem Standort. Auch mit dem Aufbau der Luftfahrtindustrie in der DDR ab 1955 konnte an die alte Bedeutung nicht angeknüpft werden. Die Anlagen dienten, wenn auch dem ursprünglichen Sinn zweckentfremdet, der Forschung der Akademie der Wissenschaften der DDR, wobei mit dem erfolgreichen Aufbau des Instituts für Kosmosforschung doch wieder an alte Traditionen zumindest in einem Teilbereich angeknüpft werden konnte.

Die technischen Versuchsanlagen der DVL

Noch heute existieren auf dem Gelände der ehemaligen DVL Versuchsanlagen, die ab 1932 errichtet worden sind. Sie sind nach einem sehr komplexen Entwicklungsprogramm in Einheit mit ehemaligen Institutsgebäuden und mit Werkstatteinrichtungen einer grundlegenden Renovierung bzw. Bausicherung unterzogen worden. Diese noch vorhandenen 16 Gebäude sind in überwiegendem Maße einer neuen Verwendung zugeführt worden und sind Teil der Stadt für Wissenschaft, Wirtschaft und Medien - WISTA Adlershof. Sie bilden in ihrer Gesamtheit und in ihrem Erhaltungsgrad ein seltenes und eindrucksvolles Ensemble einer wissenschaftlichen Luftfahrtforschungseinrichtung von weltweiter Bedeutung.
Windkanäle: Bezeichnung Bauzeit Messquerschnitt Geschwindigkeit Antriebsleistung (m) im Messquerschnitt (kW) (m/s) Kleiner 1932/33 1,2 65 / 80 110 / 170 Windkanal Mittlerer 1936/37 2,5 bzw. 2,15x3,0 60 390 Windkanal Großer 1932/33 5,0x7,0 (6,0x8,0) 65 / 55 2.000 Windkanal Trudel- 1934/36 3,75 22 (25) 90 / 140 windkanal Hochgeschw.- 1936/38 2,7 300 12.500 windkanal
Alle Windkanäle waren in geschlossener Bauart (Göttingen) ausgeführt. Heute existieren noch der Große und der Trudel-Windkanal. An weiteren Versuchsanlagen verdienen vor allem der Schallgedämpfte Motorenprüfstand und der Motorenhöhenprüfstand eine Erwähnung. Sie sind heute noch vorhanden und einer neuen Verwendung zugeführt. Der Schallgedämpfte Motorenprüfstand diente der Erprobung von luft- und flüssigkeitsgekühlten Flugmotoren. Seine Betonbauweise und die Mehrfachumlenkung der Luftführung im Ansaug- und im Ausstoßtrakt verhinderte in hohem Maße eine Schallemission in die Umwelt. In diesem Prüfstand wurden auch Belastungsversuche von Luftschrauben bis über die Nenndrehzahl hinaus und bis zum Fliehkraftbruch durchgeführt. Aus einer gepanzerten Beobachtungskammer konnten die Versuche optisch verfolgt und aufgezeichnet werden. Heute dient der Prüfstand nach der erfolgten Bausicherung einer gastronomischen Einrichtung als Domizil. Mit dem Motorenhöhenprüfstand wurden Flugmotoren auf ihr Leistungsverhalten in verschiedenen Flughöhen durch eine Nachbildung der Flugbedingungen (bis ca. 19 km Höhe) untersucht.


Die Führungen durch Guides der GBSL finden seit Jahren eine große Resonanz
(Archiv GBSL)

Eine Rumpler C.I als Versuchsflugzeug der DVL in der Wartung - um 1916
(Archiv GBSL)

Dies geschah durch eine Teilsimulation bei kaum eingeschränkter Aussagekraft der Ergebnisse gegenüber realen Bedingungen. Die Verbrennungsluft wurde gekühlt und entfeuchtet zugeführt, abgasseitig wurden die Verbrennungsgase über einen Abgaskühler und einen Abgasverdichter abgesaugt. Der Höhenprüfstand dient nach einer Vollrestaurierung des Gebäudes Lehr- und Forschungszwecken der Plasmaphysik der Humboldt-Universität zu Berlin. Die noch vorhandenen beschriebenen Versuchsanlagen bilden heute den Campus der Naturwissenschaftlichen Sektionen der Humboldt-Universität zu Berlin.

Dr. Bernd-Rüdiger Ahlbrecht