Deutscher Motorflug - die Anfänge
Als sich in Deutschland das Flugzeug nur schwer gegen die staatlich dominierte Luftschiff-fahrt durchsetzen konnte, vollbrachten
in der Welt bereits zahlreiche Piloten hervorragende Leistungen mit ihren Flugapparaten. Herausragend dabei natürlich die Rolle
Otto Lilienthals, der erstmalig wissenschaftliche Grundlagen für das Flugwesen erarbeitet hatte und diese selbst in seinen Bahn
brechenden Versuchen mit Erfolg in der Praxis umsetzte.
Aber erst die Gebrüder Orville und Wilbur Wright konnten die Ergebnisse der theoretischen Untersuchungen und der praktischen
Versuche Lilienthals für den Motorflug umsetzen. Ab diesem Zeitpunkt nahm der Motorflug eine rasante Entwicklung. Vor allem in
Europa, an der Spitze die französischen Aviatiker mit ihren Fluggeräten aus eigener Fertigung, überschlugen sich nahezu die
Ereignisse. Während Louis Bleriot bereits am 25. Juli 1909 den Kanal überflogen hatte, war es bis dahin noch keinem deutschem
Piloten gelungen, mit einem Flugapparat aus allein deutscher Fertigung nennenswerte Flüge zu absolvieren. Dr. Karl Lanz stiftete
im April 1908 den hochdotierten "Lanz-Preis der Lüfte", den er als Herausforderung und Anreiz betrachtete, dem Flugzeug endlich
auch in Deutschland zu dem ihm gebührenden Platz zu verhelfen. Bedingung war der Flug einer liegenden Acht in festgelegten
Abmessungen durch einen deutschen Flugzeugführer mit einem vollständig aus deutschem Material gebauten Flugapparat und mit
einem Triebwerk aus deutscher Fertigung. August Euler, der erste deutsche Motorflieger musste noch auf ausländisches Material
zurückgreifen. Erst der am 17. Mai 1879 geborene Hans Grade (Flugzeugführerlizenz Nr.2) brachte am 2. November 1908 auf dem
Cracauer Anger in Magdeburg seinen Dreidecker aus vollkommen eigener Fertigung in die Luft, wenn auch zugegebener Maßen mehr
schlecht als recht. Grundlage für seine ersten Versuche (er war zu dieser Zeit als ausgebildeter Maschinenbau-Ingenieur
Einjährig-Freiwilliger im Magdeburger Pionier-Bataillon) war seine Tätigkeit als Technischer Leiter der Grade-Motor-Werke AG
in der damals größten Maschinenbaumetropole Mitteldeutschlands. Seine eigenen Konstruktionen in der Automobil- und
Motorradbranche testete er als erfolgreicher Rennfahrer selbst. Wie er selbst sagte, "war dieser Sport mit seinen dauernden
Gefahren…die beste Vorbereitung für den Flugsport". Erst die Nachrichten aus Frankreich und die sensationellen Flüge von
Santos-Dumont, Ferber, Blériot, Farman, Latham und anderen und die Beschäftigung mit der Hinterlassenschaft von Lilienthal
brachte ihn während seiner Militärzeit auf den Gedanken, sich mit der Luftfahrt zu beschäftigen und eine Konstruktion zu
entwerfen, die ausschließlich aus eigener Fertigung stammen sollte.
Mit einer Spannweite von 8 m, drei Tragflächen und einem Sechs-Zylinder-Motor mit einer Antriebsleistung von 36 PS (26,5 kW)
begannen die Flugversuche. Sein erster als Flug zu bezeichnender Versuch ging über eine Strecke von ca. 60 m, der Bodeneffekt
und eine Unebenheit auf der Wiese unterstützte das Abheben vom Boden. Der anschließende Bruch vereitelte die Fortführung der
Versuche, wobei Grade selbst Realist soweit war, dass er erkannte, dass er mit dieser Konstruktion offensichtlich keinen
durchschlagenden Erfolg erzielen würde. In nur zehn Wochen entstand eine vollkommen neue Konstruktion, die berühmte "Libelle".
Da aber der Flugbetrieb auf dem Anger, einem beliebten Ausflugsziel der Magdeburger, zumal die Versuche in der Presse rege
Beachtung fanden, durch die zahlreichen "Zaungäste" sehr gestört wurde und außerdem unfallträchtig war, nahm Grade das Angebot
eines Maklers an, in Bork ein größeres Gelände zu erwerben, um hier ungestört seine Versuche fortzuführen. Mit der Einrichtung
des dortigen Flugfeldes "Mars" und eigener Werkstattkapazitäten konnte der neue Apparat ausgiebig erprobt werden.
![]() 600.000 Zuschauer bei der Großen Flugwoche 1911 in Johannisthal (Archiv GBSL) |